Baurecht & COVID-19
Arbeitsausfälle, Zahlungsschwierigkeiten, Lieferengpässe – Baurechtliche Fragen in Zeiten der Pandemie
1. Baurechtliche Sachverhalte und die „Corona“-Epidemie
Ausgangssperren, Kontaktverbote und Abstandsregelungen, Versammlungsverbote, Verkaufsstopps und Ladenschließungen – die behördlichen und staatlichen Maßnahmen zur Verlangsamung der Verbreitung des „Corona“-Virus sind weitreichend. Deshalb sind die Auswirkungen der COVID-19-Epidemie inzwischen in der Wirtschaft massiv spürbar. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) in Berlin geht von einer sich aufgrund der Corona-Krise verschärfenden und anhaltenden Rezession aus .
2. Rechtliche Auswirkungen auf Bauprojekte
Diesen Auswirkungen kann sich auch die Bauwirtschaft nicht entziehen. Neben Zahlungsschwierigkeiten auf Auftraggeberseite kommt es auf Auftragnehmerseite insbesondere zu Problemen bei Materiallieferungen oder der Verhinderung von Arbeitskräften aufgrund von Quarantänemaßnahmen und Erkrankungen. Aufgrund von Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten sowie im Zusammenhang mit einer hohen Anzahl von Erkrankungen in so genannten „Hot Spots“ sind teilweise Gebiete nicht mehr erreichbar. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, welche rechtlichen Auswirkungen diese Störungen im Bauablauf haben.
2.1. Vorbemerkung
Die Erfahrungen im Umgang mit einem Phänomen wie der „Corona“-Pandemie sind für Deutschland als gering anzusehen. Trotz der hervorragenden Forschung und Medizin sind die damit einhergehenden (bau-)rechtlichen Fragen deshalb in der Rechtsprechung noch ungeklärt. Entscheidungen zu baurechtlichen Streitigkeiten gibt es – soweit ersichtlich – überhaupt nicht.
Vorrang haben zudem in jedem Einzelfall die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Eventuell enthalten diese Regelungen zu unvorhersehbaren Ereignissen, höherer Gewalt, etc. Soweit es keine solchen vertraglichen Abreden gibt, gelten die folgenden Grundsätze.
2.2. Häufige Sachverhalte und rechtliche Lösungsansätze
Lieferengpässe aufgrund des Corona-Virus gewinnen immer mehr an Bedeutung. Die Bauunternehmen zeigen vermehrt an, dass die vorgehaltenen Lagerbestände schwinden und neue Lieferungen durch die europa- und weltweit verhängten staatlichen und behördlichen Maßnahmen ausbleiben. Stillstand oder zumindest eine Verlangsamung der Bauaktivitäten sind die Folge.
Ohne anderslautende vertragliche Vereinbarungen ist grundsätzlich der Auftragnehmer für die Materialbeschaffung verantwortlich. Bei schuldhaftem Unterlassen kann hieraus daher ein Schadensersatzanspruch des Auftraggebers folgen. Verzögerungsbedingt entstandene Kosten können so ersatzfähig sein. Gleich ob ein BGB-Werkvertrag oder ein VOB/B-Werkvertrag abgeschlossen wurden – ein Schadensersatzanspruch setzt eine schuldhafte Pflichtverletzung voraus. Soweit das Ausbleiben von „Nachschub“ auf höherer Gewalt beruht, liegt eine solche schuldhafte Pflichtverletzung nicht vor. Bei Geltung der VOB/B regelt § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) zusätzlich eine Verlängerung der Ausführungsfristen im Falle höherer Gewalt oder sonstiger für den Auftragnehmer unabwendbarer Umstände.
„Höhere Gewalt“ wird üblicherweise verstanden als ein von außen einwirkendes und objektiv unabwendbares Ereignis. Epidemien wie die Verbreitung des „Corona“-Virus dürften von dieser Definition grundsätzlich erfasst werden. Allerdings entlastet auch „höhere Gewalt“ den Auftragnehmer nur, wenn das fehlende Material auch tatsächlich nicht lieferbar ist. Notwendig ist deshalb eine genaue Prüfung eventueller anderer Ursachen für die Mangelsituation, etwa schlechte Planung, verspätete oder unzureichende Bestellungen und Ähnliches mehr. Bei Verschulden des Auftragnehmers liegt keine „höhere Gewalt“ vor. Häufig lassen sich Baustoffe anders beschaffen, gegebenenfalls zu einem höheren Preis. Die Rechtsprechung verortet auch „exorbitante“ Preissteigerungen in der Risikosphäre des Auftragnehmers. Eine Störung oder gar ein Wegfall der Geschäftsgrundlage liegen daher nicht so zügig vor wie häufig angenommen. Eine Entscheidung im Streitfall erfolgt nach diesen Grundsätzen einzelfallabhängig durch den zuständigen Tatrichter.
Ähnliche Erwägungen greifen auch bei anderen Sachverhalten. Soweit Quarantänemaßnahmen einen Ausfall eines Nachunternehmers verursachen, könnte dies bei fehlender Möglichkeit für Ersatz zu sorgen „höhere Gewalt“ sein. Mithin läge ein Verschulden des Auftragnehmers nicht vor. Wer dagegen aus Sorge um die Gesundheit fernbleibt oder die Kosten einer Ersatzbeschaffung scheut, kann für sich kaum „höhere Gewalt“ reklamieren.
Umgekehrt treffen den Auftraggeber etwa im Projektablauf Mitwirkungspflichten und -obliegenheiten. Er muss das Baugrundstück zur Verfügung zu stellen, Ausführungsunterlagen übergeben, öffentlich-rechtliche Genehmigungen besorgen und Ähnliches mehr. Entschädigungsansprüche des Auftragnehmers wegen unterlassener Mitwirkungsobliegenheiten des Auftraggebers setzen kein Verschulden des Auftraggebers voraus. Äußere Einflüsse, die der Auftraggeber nicht beherrschen kann, hat der Auftraggeber jedoch nicht in seiner Sphäre zu verantworten. Führen behördliche Maßnahmen dazu, dass der Auftraggeber nicht mitwirken kann, könnte ein Schadensersatzanspruch des Auftragnehmers wegen Behinderung deshalb scheitern.
Soweit die Liquidität eines Auftraggebers infolge der „Corona“-Krise betroffen ist, kann dies zur Anordnung eines Baustopps zwingen. Jedoch kann sich der Auftraggeber in diesen Fällen kaum auf „höhere Gewalt“ oder das Vorliegen eines „unabwendbaren Ereignisses“ berufen. Das Liquiditätsrisiko trägt grundsätzlich der Auftraggeber. Nur für Verbraucher und Kleinstunternehmer kommt ein Leistungsverweigerungsrecht in Betracht, das mit dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom 27.03.2020 (BGBl. 2020, Teil I, Nr. 14) eingeführt wurde. Auf Bauverträge dürfte dieses jedoch keine Anwendung finden, da es sich nicht um „wesentliche Dauerschuldverhältnisse“ im Sinne des Gesetzes handeln dürfte. Solche sollen sein „die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind“.
Eine Kündigung bestehender Bauverträge aufgrund von „coronabedingter“ Sachverhalte ist weder pauschal begründet noch grundsätzlich unzulässig. Sowohl das BGB als auch die VOB/B kennen für beide Parteien ein Recht zur außerordentlichen Kündigung. Ob der kündigenden Partei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann, ist nicht pauschal zu beantworten. Eine übereilte außerordentliche Kündigung kann eventuell unwirksam sein und in eine so genannte freie Kündigung umgedeutet werden. Der Auftragnehmer kann dann grundsätzlich die volle Vergütung verlangen. Umgekehrt kann der Auftraggeber seinerseits die Kündigung aus wichtigem Grund aussprechen, wenn der Auftragnehmer – unwirksam – kündigt. § 6 Abs. 7 Satz 1 VOB/B kennt ein Kündigungsrecht für beide Parteien, wenn die Unterbrechung der Bauausführung länger als drei Monate andauert. Aufgrund der Kündigungsfolgen sind die Gründe für die Unterbrechung auch hier näher zu beleuchten, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird.
3. Vorsicht bei der Gestaltung neuer Bauverträge
Nachdem nun die heute ersichtlichen und noch zu erwartenden Auswirkungen der „Corona“-Pandemie bekannt sind, dürften diese künftig nicht mehr als „höhere Gewalt“ eingestuft werden können. Neu abzuschließende Verträge sollten die hier aufgeworfenen Fragen transparent berücksichtigen. Die Parteien sind gut beraten, eine angemessene Risikoverteilung zu verabreden und das auf den ersten Blick schwierige Thema nicht zu ignorieren. Das Wissen um Engpässe in der Lieferung, eventuelle Arbeitsausfälle infolge von behördlichen Anordnungen etc. führt dazu, dass sich die Parteien im Falle auftretender Schwierigkeiten jedenfalls nicht mehr auf die fehlende Vorhersehbarkeit berufen können. Als Faustregel für die Risikoverteilung gilt, dass derjenige, der das Risiko besser tragen, mithin beeinflussen kann, es auch vertraglich zugeordnet bekommen sollte. Wie sich dies im Einzelfall in vertragliche Regelungen umsetzen lässt, hängt von den konkreten Umständen ab, mithin den Verzahnungen des Bauprojekts mit nationalen und internationalen Zulieferern und Subunternehmern und weiteren Eigenheiten, die jeweils zu erfassen sind.
4. Bedeutung der gesetzgeberischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie
Auch der Bundesrat hat das Corona-Krisenpaket gebilligt, mit dem der Gesetzgeber breitgefächert existenzielle Coronavirus-Folgen abwenden will. Das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“ bringt massive gesetzliche Änderungen u. a. im Zivilrecht, Insolvenzrecht sowie im Strafverfahrensrecht. Ohne Aussprache stimmte der Bundesrat allen sechs Teilgesetzen zu, die einen Nachtragshaushalt erfordern, und nun zügig im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurden.
Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz, das er rasant umsetzte, vorübergehend massiv in das Rechtssystem eingreifen, um existenzielle Folgen und Nöte durch die Pandemie abzuwenden. Besonders umfangreich stellen sich die geplanten Änderungen im Zivilrecht dar.
Für das Baurecht sind im Wesentlichen die folgenden Änderungen relevant:
4.1 Insolvenzrecht
Die Antragspflicht zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 15a InsO und § 42 BGB ist bis zum 30.09.2020 ausgesetzt. Dies gilt bei Insolvenzen, die aufgrund der Corona-Krise eintreten. Insoweit bleibt es bei der Insolvenzantragspflicht, wenn Insolvenzgründe unabhängig von der Corona-Krise eintreten. Soweit dargelegt werden kann, dass am 31.12.2019 keine Insolvenz gegeben war, wird vermutet, dass eine jetzt eintretende Insolvenz „coronabedingt“ ist.
Nach dem verabschiedeten Gesetz besteht für das zuständige Bundeswirtschaftsministerium eine Verordnungsermächtigung, die Insolvenzantragspflicht noch bis längstens zum 31.03.2021 auszusetzen.
Für das Baurecht kann sich dies dahingehend positiv auswirken, dass am Bau Beteiligte nicht aufgrund eines in den nächsten Monaten greifenden Insolvenzgrundes und aufgrund der damit verbundenen Haftung bei Verschleppung einen Eigenantrag stellen müssen. Daher kann es im Einzelfall zu einer Verstetigung der Baustellenaktivitäten führen, wenn nicht aus Gründen der Angst vor einer Haftung ein Eigenantrag gestellt wird, sondern in der – damit zulässigen – Hoffnung auf Sanierung, insbesondere durch Fertigstellung von Bauaktivitäten, die Grundlage für eine Schlussrechnung und damit für weitere Einnahmen gelegt werden kann.
4.2 Bürgerliches Recht
Art. 5 des Gesetzes betrifft Änderungen des BGB. Hervorzuheben ist hier zunächst ein Moratorium, das sowohl für Verbraucher (§ 1 Abs. 1) als auch für Kleinstunternehmen (§ 1 Abs. 2) gilt. Danach soll ein Verbraucher das Recht haben Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis ist und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, „wenn dem Verbraucher infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre“. Das Leistungsverweigerungsrecht soll bestehen „in Bezug auf alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse“. Solche sollen sein „die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind“, Art. 240 § 1 Abs. 1 BGB n.F.
Eine entsprechende Regelung für Kleinstunternehmen findet sich im neuen Art. 240 § 1 Abs. 2 BGB (n.F.). Ein Leistungsverweigerungsrecht soll hier bestehen, „wenn infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sein, 1. das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann oder 2. dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre“. Auch hier hat der Gesetzgeber das Leistungsverweigerungsrecht auf „alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse“ beschränkt. Diese sollen solche sein, „die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind“.
Art. 240 § 1 Abs. 3 BGB schränkt den Anwendungsbereich der Leistungsverweigerungsrechte weiter ein, indem es eine Zumutbarkeitsschwelle aus Sicht des Gläubigers geben soll. Eine Unzumutbarkeit für den Gläubiger soll vorliegen, wenn „die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage seines Erwerbsbetriebs gefährden würde“ (in Bezug auf das Leistungsverweigerungsrecht des Verbrauchers nach Abs. 1) bzw. wenn „die Nichterbringung der Leistung zu einer Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen oder der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs führen würde“. Art. 240 § 1 Abs. 3 letzter Satz BGB n.F. gibt dem aufgrund der Einschränkungen nicht leistungsverweigerungsberechtigten Verbraucher oder Kleinstunternehmer, also dem „Schuldner“ dann ein Kündigungsrecht.
Bei Fragen zu diesen und anderen baurechtlichen Aspekten kommen Sie gerne auf uns zu.
Unsere Erreichbarkeit und Arbeitsfähigkeit ist derzeit und auch im Falle weiterer Verschärfungen der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus gesichert.
Bleiben Sie gesund !